20. Oktober 2022 | |
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Thema: | Frauenrechte |
Von: | Katharina Höftmann Ciobotaru |
Männer und Frauen werden nicht nur anders krank, sie leiden auch an anderen Erkrankungen. Weil vor allem frauenspezifische Erkrankungen wie Endometriose, polyzystisches Ovarialsyndrom, prämenstruelle Dysphorie und Vaginismus immer nocht nicht genügend untersucht werden, braucht es radikale Veränderungen in der Forschung. An der Universität Zürich wurde nun die erste Schweizer Professur für Gendermedizin ins Leben gerufen.
Geschlechtsunterschiede machen sich in vielen Erkrankungen bemerkbar: Frauen und Männer zeigen bei vielen Krankheiten unterschiedliche Symptome und reagieren anders auf pharmakologische und invasive Therapien. Sie weisen vielfach unterschiedliche Risikofaktoren für Krankheitsentstehung, Krankheitsverlauf und Behandlungsrisiken auf und nehmen Präventionsangebote häufig unterschiedlich war.
Das Risiko an Alzheimer-Demenz zu erkranken oder an einem erlittenen Herzinfarkt zu sterben ist beispielsweise für Frauen deutlich höher als für Männer. Zudem leiden Frauen häufiger an Schilddrüsenerkrankungen, Rheuma, Störungen des Immunsystems oder so genannten frauenspezifischen Erkrankungen, die im Zusammenhang mit weiblichen Geschlechtsorganen stehen. Dagegen sind mehr Männer von Morbus Parkinson betroffen und sterben häufiger an COVID-19. Aufgrund des so genannten Empathy-Gaps sind außerdem viele psychische Erkrankungen weniger gut bei Männern erforscht.
In der Regel leiden jedoch Frauen mehr unter den Folgen nicht vorhandener Gendermedizin. Studien zur Krankheitsentstehung und zur medikamentösen Behandlung werden nämlich zu 80 Prozent an jungen männlichen Mäusen durchgeführt – der weibliche Zyklus, weibliche und männliche Geschlechtshormone sowie Meno- und Andropause kommen in diesen Studien nicht vor. Auch klinische Studien werden überwiegend an Männern durchgeführt und trennen ihre Ergebnisse nicht für Frauen und Männer auf. Dazu kommt: Sie berücksichtigen die soziokulturelle Dimension von Gesundheit oder Krankheit nicht. Einflüsse von Stress, Umwelt- und Lebensbedingungen, die sich bei Frauen und Männern unterscheiden, bleiben unbeachtet. Zu Menschen mit anderen Geschlechteridentitäten gibt es auch fast keine Daten.
Das Problem fängt im Studium an: Medizinstudierende lernen nicht, was Männer und Frauen unterscheidet, was sie bei Untersuchungen und in der medikamentösen Therapie bei beiden Geschlechtern berücksichtigen müssen und wie sie geschlechtssensibel mit Patient:innen kommunizieren. Das wird dann besonders bedrohlich, wenn sich vor allem Frauen sich bei Ärzten nicht ernstgenommen oder sogar übergriffig behandelt fühlen.
Anders als in Deutschland (dort gibt es einen Lehrstuhl für Geschlechterforschung in der Medizin an der Berliner Charite) und Österreich (hier haben gschon zwei Medizinische Universitäten eigene Lehrstühle für Gendermedizin in Wien und Innsbruck) gab es in der Schweiz bisher keinen Lehrstuhl und damit keine spezifische Forschung im Bereich Gendermedizin. Dies soll sich an der Universität Zürich nun ändern.
Zu den wesentlichen Aufgaben der Professur wird es gehören, Forschung im Bereich Gendermedizin voranzubringen, indem sie Projekte in allen Bereichen der Forschung etabliert, dafür Konsortien bildet und Drittmittel einwirbt. Gendermedizin soll künftig in Zürich in die Lehre integriert werden, damit die Studierenden grundlegende Informationen zur Bedeutung von biologischem und soziokulturellem Geschlecht in möglichst allen Fächern erhalten.
Nicht zuletzt, so geht es aus der Pressemitteilung der UZH-Foundation, der Stiftung der Uni Zürich, hervor, sollen Ziele und Inhalte der Gendermedizin in der Schweiz manifestiert werden und man will international eine Führungsrolle einnehmen. Die Professur in Gendermedizin soll nicht nur die akademische Verankerung in Forschung und Lehre garantieren sowie die Pflege eines nationalen und internationalen Netzwerks sicherstellen sondern auch für die Implementierung in die Praxis sorgen.
Die längerfristige Vision ist es, ein Institut für Gendermedizin an der Universität Zürich zu gründen. Zudem soll in Zukunft ein klinisches Zentrum für Gendermedizin aufgebaut werden, in dem Menschen nach den Grundsätzen der Präzisionsmedizin geschlechtsspezifisch behandelt werden.
Damit ist für die Schweiz ein erster Schritt getan. Trotzdem bleibt das Thema unterrepräsentiert. Bis zum Jahr 2021 wurden etwas mehr als 10.000 Artikel veröffentlicht, die sich mit geschlechtsspezifischen Unterschieden in der klinischen Medizin und verwandter Literatur befassen. Ungefähr genauso viele Artikel gibt es allein zu dem Thema Erektionsstörungen. Die anatomische Dissektion der Klitoris wurde hingegen seit 1947 weltweit in nur elf Artikeln behandelt.